Ulrich Müther (1934 – 2007) Erfindungen und genutzte Technologien

Exkurs Schalenbaugeschichte

Die Erfindung des bewehrten Betons ermöglichte es, dass sich Kuppelkonstruktionen von alten Konventionen lösen konnten. Der „gießbare Fels“ ersetzte nun den Steinblock. Der womöglich intelligenteste Baustoff aus einer Kombination von Stahl und Beton ermöglicht es nun, größere zusammenhängende Flächen herzustellen, ohne dabei einzelne Steine zusammenfügen zu müssen. Der armierte Beton übernimmt – anders als bei Druckgewölben – auch Zugspannungen, wodurch freie geometrische Formen möglich sind. Die dünnwandige Schale mit einer Stärke von selten mehr als sieben cm kann als „bewehrte Beton-Membran“ sowohl Zug-, Druck- und Schubkräfte über die Form und Festigkeit der Konstruktion aufnehmen.

Die Geburtsstunde des Schalenbaus lässt sich auf die Jahre 1922/23 datieren, in denen das erste Zeiss-Planetarium eine Spritzbetonkuppel mit einem Durchmesser von 16 m erhielt. Das Jenaer Carl-Zeiss-Werk stellte hierfür ein stählernes Stabnetzwerk her. Die hohen Anforderungen an die Genauigkeit der inneren Projektionsfläche erforderten ein hohes Maß an Präzision. Die 3’840 Stäbe mit den dazugehörigen Knoten hatten insgesamt ein Gewicht von nur 3’600 kg. Auf die Fläche bezogen, entspricht das einem Gewicht von nur 9 kg/m². 

1924/25 wurde unter der Leitung von Franz Dischinger (1887 - 1953) eine Kugelschale mit einer Spannweite von 40 Metern und einer Dicke von sechs Zentimetern für die Schrottwerke in Jena gebaut. An dieser Stelle begann der moderne Schalenbau. Danach wurden die zunächst experimentell ermittelten Lösungen wissenschaftlich untermauert und Rechenmodelle auf Grundlage der Schalen- und Elastizitätstheorie erarbeitet. 

Hyperbolische Paraboloidschale (auch HP-Schale oder Hyparschale)

Das Lebenswerk Müthers umfasst neben der Berechnung auch die Herstellung verschiedener Hyparschalen, die wegen ihrer Form auch als Sattelflächen bezeichnet werden. An jedem Punkt sind sie gegensinnig gekrümmt. Die äußerst stabile wie auch leicht anmutende Konstruktion macht sich das Tragverhalten von einer bogenartig stehenden und einer hängenden Parabel zu nutze, die sich im Mittelpunkt berühren. Die Bezeichnung der Leitkurvenfläche kommt von dieser geometrischen Definition (siehe Systemskizze einer Hyparschale). Mit der Durchdringung der Gewölbe- und Hängeflächen ist es möglich, große Flächen zu überspannen ohne dabei eine massiv wirkende Konstruktion oder eine Vielzahl von Stützen zu verwenden. In den 70ern und 80ern des 20. Jahrhunderts war diese Art von Konstruktion ein Novum. 

Auch die Herstellungsart der hyperbolischen Paraboloidschalen, die der kubischen Moderne dieser Zeit entgegenwirken zu schienen, perfektionierte Müther mit der Zeit. Die dünnen Schalen wurden mit Hilfe von Spritzbeton, der auf ein Drahtgeflecht aufgebracht wurde, hergestellt. Schon 1919 wurde von Carl Weber dieses Verfahren patentiert. Dieser gründete zu dieser Zeit die „Deutsche Torkret Baugesellschaft“. In Folge bürgerte sich für das Betonspritzverfahren der Begriff des „Torkretierens“ ein.

Die Handhabung der Hyparschalen war sowohl bei der Herstellung wie auch bei folgenden Prozessen verhältnismäßig einfach, konnte doch ohne Probleme eine Beplankung der torkretierten Flächen vorgenommen werden. Die ersten Schalen der Müther-Bauten wurden im Herstellungsprozess geschalt. In die Schalung wurde folgend ein Drahtgeflecht ausgelegt, welches anschließend mit Spritzbeton umfasst wurde. Müther entwickelte dieses Herstellungsverfahren weiter. Es gelang ihm so, dass die Schalen auch ohne eine vorhandene Schalung hergestellt werden konnten, was den Zeitaufwand erheblich minimierte. Die Ressourcenschonende Herstellung schon Dächern durch das Spritzbetonverfahren kam zudem der wirtschaftlichen Situation der DDR zu Gute, in der Baumaterialen jederzeit sehr knapp bemessen waren.