Wilhelm von Sens († 1180) Projekte

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Tabellarische Übersicht

BauzeitProjektbezeichnungBauort
Um 1136Abteikirche von Saint-DenisSaint-Denis, Île-de-France, Frankreich
Zwischen 1136 und 1174Verschiedene Bauwerke von ValenciennesValenciennes, Nord-Pas-de-Calais, Frankreich
Ab 1140Kathedrale Saint-EtienneSens, Burgund, Frankreich
1175-1179Chor der Kathedrale von Canterbury 
(auch: Christuskirche zu Canterbury)
Canterbury, England, UK

Kommentierte Auswahl

Kathedrale Saint-Etienne, Sens, Burgund, Frankreich, ab 1140

Verantwortlich für die drei ersten frühgotischen Kirchen, die Abteikirche Saint-Denis, die Kathedrale von Sens und den Vorgängerbau der gegenwärtigen Kathedrale von Chartres waren der Abt Suger von Saint-Denis sowie die Bischöfe Heinrich von Sens (Henri Sanglier) und Gottfried oder Godefroi von Chartres. Diese waren miteinander befreundet und teilten die gleichen Überzeugungen. Um 1140 begann Erzbischof Sanglier mit dem Bau einer neuen Kathedrale auf verschiedenen Vorgängerbauten. Sie gilt als eine frühe Form im gotischen Baustil und wurde etwa zur gleichen Zeit wie der Chor der etwa 130 Kilometer nordwestlich von Sens gelegenen Abteikirche Saint-Denis (geweiht 1144) errichtet. Sie ist eine der ersten großen gotischen Kathedralen in Frankreich und war Vorbild für die Kathedrale von Canterbury. Es ist umstritten ob Saint-Denis oder Saint-Etienne als erstes gotisches Bauwerk gelten, denn in St-Denis stammt nur der untere Teil des Chores aus dem frühen 12. Jahrhundert. Der Chor von Saint-Etienne wurde hingegen ohne Bauunterbrechung errichtet und 1168 fast vollendet. Trotzdem ist die Abteikirche Saint-Denis von Abt Suger die bekanntere von beiden, da die Kathedrale von Sens nie als äußerst gotisch und innovativ angesehen wurde.

Der Innenraum des Baues erscheint nicht wie spätere französische Kathedralen in überhöhtem Vertikalismus, Zierlichkeit der Glieder und Lichtfülle. Das Mittelschiff ist eher breit und gedrungen. Der Bau wird bestimmt durch einem Wechsel von mächtigen Pfeilern und Doppelsäulen.

Der dem Bau zu Grunde liegende Grundriss wird in konsequenter Gleichmäßigkeit durch fast quadratische Joche gegliedert. Dabei entspricht die Ausdehnung eines Joches des Mittelschiffes derer zweier Joche der Seitenschiffe. Die diagonalen Gewölberippen des Mittelschiffes enden in Pfeilern. Die Querrippen hingegen gehen in einen schlanken Dienst über und fußen auf einer Doppelsäule. Durch die Verwendung des sechsteiligen Gewölbes wird die Schwere des Mauerwerks betont. Dieses Motiv findet durch Wilhelm von Sens beim Bau der Kathedrale von Canterbury Wiederverwendung. Die Kathedrale hatte ursprünglich kein Querhaus, was dem Raum Einheitlichkeit und Einfachheit verliehen hat. Das vorhandene Querhaus wurde erst 1490-1513 von Martin Chambiges anstelle eines Doppeljoches angefügt. Wie der Grundriss verfolgte der dreigeschossige Wandaufbau wahrscheinlich den gleichen Anspruch auf Einheitlichkeit und Einfachheit. Ausgestaltet ist die Wand durch die massiven Arkadenmauern und Pfeilern über das zweischichtige Triforium und den durchlichteten Obergaden mit Doppelfenstern. Dieses Motiv war eine Vorbildwirkung für viele folgende Kirchenbauten in der Ile-de-France.

Chor der Kathedrale von Canterbury, England, UK, 1175-1179

Einleitung

Für den Wiederaufbau, der am 5. September 1174 durch ein Feuer zerstörten Kathedrale von Canterbury, brachte Wilhelm von Sens die in der Ile-de-France entwickelten frühgotischen Formen nach England. Er wählte für einen traditionellen normannischen Grundriss einen gotischen Wandaufriss und arbeitete von 1175-1178 an dem Chor der Kathedrale. Nach einem schweren Sturz musste er seine Arbeiten beenden und der Chor wurde von William the Englishman von 1179 an weitergeführt und bis 1184 beendet. Heutzutage ist die Kathedrale zusammen mit der Abtei St. Augustinus und der St.-Martins-Kirche seit 1988 Teil des UNESCO Weltkulturerbes. Sie ist eine der ältesten und bekanntesten christlichen Kirchen in England und Sitz des Erzbischofs von Canterbury. Dieser ist Vorstand der Kirche von England und der weltweiten Anglikanischen Kirchengemeinschaft. Ihr formaler Titel ist Cathedral and Metropolitical Church of Christ at Canterbury.

Brand der Kathedrale im Jahr 1174

Ein Feuer brach im Hause Freses, des Münzers, aus und sprang auf benachbarte Häuser über. Glut und Funken der umliegenden Häuser griffen wiederum auf die Kirche über und zerstörten den östlichen Teil, den Chor Konrads, der Kathedrale von Canterbury in Kent, England. Das Werk aus der Zeit des Heiligen Anselm wurde zu Asche: Geschmolzenes Blei, kalziniertes Mauerwerk und zerborstene Fenster. Auch das anliegende Krankenhaus mit der Kapelle der Heiligen Maria und einige andere Klostergebäude verbrannten in dem Feuer. Die Mönche waren entsetzt über die nun vor ihnen liegenden Ruinen ihres stolzen Baues. Daraufhin wurden die Grabmäler der Heiligen im zerstörten Chor geöffnet und im Hauptschiff am Altar des Heiligen Kreuzes beigesetzt. Verschiedenen Berichten zufolge, gingen dem Brand übermenschliche Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tod des Erzbischofs von Canterbury, Thomas a Becket, voraus. Dieser wurde, aufgrund andauernder Auseinandersetzungen mit König Henry II. und dem endgültigen Zerwürfnis der beiden Parteien im Dezember 1170, einen Monat später von vier Rittern innerhalb der Mauern der Kathedrale ermordet. Diese deuteten das Zerwürfnis als Zeichen Henrys II. zur legitimen Ermordung Beckets. Am 21. Februar 1173 erfolgte die Heiligsprechung von Becket. Seitdem ist Canterbury Ziel populärer Pilgerfahrten. Insgesamt brannte die Kirche dreimal ab.

Die Begutachtung

Die Pfeiler der Kirche drohten allmählich zusammenzufallen und die Mönche suchten daher Rat. Sie nutzten den Vorteil der Situation zur vertraglichen Veranlassung größerer Reparaturen des vollständig zerstörten Ostflügels mit Chor (Conrad's glorious choir) und Apsis sowie der anderen ohnehin baufälligen Teile der Kathedrale. Das mittelalterliche Bauunterfangen der nächsten Jahre des Wiederaufbaus wurde von dem Mönch und Chronist des Klosters sowie der Bischofskirche, Gervasius, ausführlich aufgeschrieben. Die Mönche beriefen eine Kommission von Baumeistern aus England und Frankreich ein. Unter ihnen auch Wilhelm von Sens. Zu dieser Zeit muss Wilhelm von Sens, nach Gervasius von Canterbury, bereits ein bekannter Baumeister gewesen sein und wurde aus diesem Grund kontaktiert. Die Baumeister sollten sich die Kathedrale anschauen und Vorschläge zur Reparatur vortragen. Das Ergebnis der Begutachtung war geteilt. Die einen meinten, eine normale Reparatur und Rekonstruktion wäre möglich. Die zweite Partei plädierte für den Abriss der Reste und einen Neubau. Die Beherrschung des gotischen Stils, der zuvor nur in Frankreich (erstmals in St. Denis und Saint-Etienne) gebaut wurde, brachte William von Sens die Aufmerksamkeit der Mönche und die Übertragung der Bauleitung auf seine Person. Die neue Kathedrale von Canterbury sollte gewaltiger und höher als ihr Vorgänger werden. Somit siegte mit Wilhelm von Sens die zweite Partei, die für den Abriss plädierte und den alten romanischen Stil durch den neuen gotischen ersetzten wollte. Jedoch sollten aus Gründen der Sparsamkeit die Außenmauern des Baus aus Anselms Zeiten mit den hohen und weiten Fenstern erhalten bleiben.

Der Wiederaufbau durch Wilhelm von Sens (1175-1179)

Nach einiger Zeit des Studierens der Bauschäden bekundete Wilhelm von Sens den Mönchen, dass alle beschädigten Pfeiler und das darüber Liegende entfernt werden müssen. Die Mönche stimmten dem Abriss des Chores zu. 1175 wurde diese Aufgabe umgesetzt. Im folgenden Jahr konnten unter der Regie von Wilhelm von Sens die ersten sechs Rundpfeiler in zwei Reihen errichtet werden. Über diesen und den Außenmauern folgten Gewölbe mit Schlussstein. Danach wurde aus vielen schlanken Marmorsäulen das Triforium gebildet. Sens ließ schlanke hohe Säulchen aus schwarzem Purbeck-Marmor dem Triforium und den Wänden vorlegen, welche sich gegenüber den restlichen Strukturen farblich absetzen.

Die nach England eingeführten französischen Formen verband Wilhelm von Sens mit der örtlichen, traditionellen Raum- und Wandauffassung. An den alten Chor Konrads wurden ein neuer mit Umgang (Trinity Chapel) und eine runde Scheitelkapelle gesetzt. Verwendung fand der dreigegliederte Wandaufriss nach dem Vorbild der Kathedrale von Sens. Im Unterschied zu den französischen Kathedralen liegt der Ansatz der Rippenwölbung unterhalb der Fensterzone in Höhe der Kapitelle der Emporenarkaden. Zusätzlich ist das Gewölbe in die Wand eingehängt und nicht konsequent von den Vertikallinien der Wand fortgeführt. Die Bogenlaibungen und Archivolten sind dekorativ gestaltet. Ornamentik spielt eine wichtige Rolle. Die Kapitelle der insgesamt 28 im Chor stehenden Pfeiler sind detailliert skulpturiert. Die Pfeiler im Langchor sind abwechselnd rund und achteckig ohne Verjüngung mit Quadern aufgemauert. Sie tragen Blattkapitelle und niedrige, profilierte Kämpfer. Die beiden östlichen Vierungspfeiler sind mit schwarzen Purbeck-Marmorsäulen umrahmt. Des Weiteren ist die erreichte Raumhöhe nicht annähernd so hoch wie die von in Frankreich gebauten Kirchen. Die verwendeten Steine für den Neubau wurden aus Frankreich geliefert, da im 12. Jahrhundert noch keine geeigneten Steinbrüche in England erschlossen waren.

Wilhelm der Engländer (1179-1184)

Nach seinem Sturz im Jahr 1178 leitete Wilhelm von Sens zuerst die Arbeiten vom Krankenbett aus. Dies konnte er aufgrund der Schwere seiner Verletzungen allerdings nicht lang fortführen und so reiste er in sein Heimatland Frankreich zurück. Willhelm der Engländer (William the Englishman) wurde sein Nachfolger. Dieser leitete die Arbeiten zwischen 1179 und 1184 an der „Trinity Chapel“, welche das Heiligengrab für die Reliquien von „St. Thomas the Martyr“ wurde. Trotz einiger individueller Abweichungen hielt er sich dabei großenteils an den Plänen von Wilhelm von Sens. Des Weiteren erstellte er den „Corona“ („crown“) Turm am östlichen Ende der Kathedrale, worin die Krone von St. Thomas Kopf aufbewahrt wird.