Bewegte Netze, Bauhausangehörige und ihre Beziehungs-Netzwerke in den 1930er und 1940er Jahren

Posterdesign by Andreas Wolter
Foto: Bauhäusler um 1929. Bauhaus-Archiv Berlin

Projektbeschreibung

Mit der Schließung des Bauhauses im April 1933 zerfiel der institutionelle Rahmen der in ihrer Zeit führenden Kunst- und Designschule; sie bestand jedoch als virtuelle Struktur unterschiedlicher, empirisch zu untersuchender Netzwerke ihrer Angehörigen fort. Die Bildung dieser Netzwerke reichte oft weit in die Geschichte der Schule zurück.

Mit dieser Netzwerk-Perspektive lässt sich die Geschichte des Bauhauses in der politisch brisanten Periode der 1930er und 1940er Jahre des 20. Jh. methodisch fundiert fortschreiben. Das Projektteam aus Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft und Mediendesign untersucht exemplarisch sechs Netzwerke. Tragend sind dabei einerseits systemische Fragestellungen, beispielweise nach der Regelbildung dieser Netzwerk-Formationen. Andererseits ermöglicht die historische Perspektive, dass auch die veränderten Bedingungen künstlerischer Produktivität rekonstruiert werden können. Diese Erkenntnisse mit ihren Topologien und Dynamiken sollen synthetisiert und als neue Pluralität in die Historiographie der Kunstschule zurückgebunden werden.

Das datenbankgestützte Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit den drei Bauhaus Nachfolgeinstitutionen in Berlin, Dessau und Weimar auf Basis einer in ihren Grundzügen existierenden, digitalen Forschungsplattform.

Ziel des Projekts ist es, das vorherrschende Rezeptionsschema des Bauhaus-Erbes als einer transatlantischen Erfolgsgeschichte, die wesentlich von einem starken Netzwerk um Walter Gropius gespeist wurde, durch die Rekonstruktion historischer Erfahrungshorizonte ausgewählter Gruppen zu erweitern und die bestehenden Deutungsmuster zu relativieren.

Formationen

Formation 1: Das Netzwerk um Walter Gropius
Der Blick auf Gropius als Mittelpunkt eines ego-zentrierten Netzwerkes (d. h. um eine starke Führungsfigur) mit Herbert Bayer, Marcel Breuer und Laszlo Moholy-Nagy als Hauptakteuren und weiteren Nebenakteuren stellt, trotz der reichen Literatur gerade über den Bauhausgründer und langjährigen Direktor, ein Defizit der Forschung dar. Die Netzwerkzusammenhänge erschließen sich beispielsweise über Aufträge für Ausstellungsgestaltungen, lassen aber auch Publikationsvorhaben und schließlich die Exilentscheidungen der Protagonisten nachvollziehbar werden.

Formation 2: Das Netzwerk um Hannes Meyer
Das Netzwerk um Hannes Meyer bildet die stärkste Gegenformation im Kampf um die Deutungshoheit über das Bauhaus. Heute besteht Klarheit darüber, dass sich die Opposition des zweiten Bauhausdirektors Hannes Meyer gegen Gropius bis in die Zeit des kalten Krieges auswirkte. Meyers dezidiert linkspolitische Neudeutung der Gropius‘schen Schulkonzeption sicherte ihm einen Kreis von Studenten, Freunden und Korrespondenzpartnern, dessen Beschreibung und deren Netzwerkarbeit noch immer im Schatten des „Gropius-Bauhauses“ steht.

Formation 3: Das Netzwerk um Gerhard Marcks
Gerhard Marcks fällt in der Regel nach kurzer Nennung seiner Tätigkeit für die Keramikwerkstatt aus jeder Bauhausdarstellung heraus. In einer Reihe neuerer Publikationen wurden bisher nur Marcks Beziehung zu einzelnen der Mitglieder seines zu rekonstruierenden Netzwerks thematisiert. Dabei könnte eine genauere Untersuchung dieses Personenkreises ergeben, dass es sich um das stabilste Netzwerk in der Zeit von 1933-1945 handelt.

Formation 4: Grafikdesigner/Fotografen im Nationalsozialismus
Zwischen dem starken Gropiusnetz und dem seines Konkurrenten Hannes Meyer organisieren sich im Umkreis der Berliner werbegrafischen Ateliers von Laszlo Moholy-Nagy und Herbert Bayer dreißig bis vierzig Bauhausabsolventen. Hier kreuzen sich für einige Jahre viele Netzwerkpfade, die auf schon existierenden Strukturen aufbauen, und deren Rekonstruktion ist von besonderer Signifikanz für die Orientierungsmöglichkeiten und -entscheidungen der letzten Generation ausgebildeter Bauhausstudenten.

Formation 5: Architekten im Nationalsozialismus
Diese Teiluntersuchung soll die Bauhaus-Architekten im nationalsozialistischen Deutschland behandeln. Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe beschäftigten begabte Architekturstudenten, teilweise während ihrer Bauhausjahre, teilweise auch darüber hinaus. Selbst wenn die Gruppe der Architekten zunächst wenig homogen scheint, versprechen zahlreiche Hinweise der derzeitigen Forschung auf Formationen und Kooperationen im „Dritten Reich“ neue Einsichten in ihre Auftrags- und Arbeitszusammenhänge.

Formation 6: Exil in den Niederlanden
Die regionale Verdichtung von Exilanten in persönlichen Netzwerken wird exemplarisch am Beispiel der Niederlande untersucht, da sich dort innerhalb weniger Jahre auf engem Raum die Wege von Meistern und Schülern kreuzten und Gruppen bildeten. Hier kamen Grafikdesigner, WeberInnen, ArchitektInnen und KeramikerInnen zusammen und trafen auf einige der niederländischen Bauhausabsolventen, die nach 1933 in ihr Land zurückkehrten. Auch für diese Fragestellung gilt, dass bislang nur einzelne Themenbereiche untersucht wurden.

Mitwirkende

Magdalena Droste, Prof. Dr.

Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der BTU Cottbus (seit 1997), Promotion zum Dr. phil. An der Philipps-Universität Marburg (Martin Warnke) zum Thema „Das Fresko als Idee. Probleme deutscher Wandmalerei im 19. Jahrhundert“ (1977). Wissenschaftliches Volontariat Staatsgalerie Stuttgart (1977-1979), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bauhaus-Archiv Berlin (1980-1997). Membre Titulaire CIHA (Comité International d’Histoire de l’Art) des Deutschen Nationalkomitees bis 2016; stellvertretende Sprecherin der International Graduate School (IGS) World Heritage Studies an der BTU Cottbus.

Laufende Forschungsprojekte: Wassily Kandinskys Unterricht am Bauhaus 1923 -1932. - Wissenschaftliche Edition des Briefwechsels zwischen Oskar Schlemmer und Otto Meyer-Amden 1909-1932. (mit Elisa Tamaschke)

Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen, u.a.: Mythos Bauhaus. Zwischen Selbsterfindung und Enthistorisierung. Berlin 2009 (Hg. mit Anja Baumhoff); Bauhaus 1919-1933. Reform und Avantgarde, Köln 2006 [Übersetzungen in englisch, spanisch, portugiesisch, italienisch, niederländisch, tschechisch]

Laufende und abgeschlossene DFG-Projekte am Lehrstuhl:
- Neues Bauen in der Fremde (Projektleiterin Dr. Regina Göckede, LS Kunstgeschichte BTU Cottbus) 2008-2013

Kontakt: magdalena.droste@googlemail.com


Patrick Rössler, Prof. Dr.

Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung/Methoden an der Universität Erfurt (seit 2004), derzeit Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Zuvor Studium der Publizistik, Rechts- und Politikwissenschaft an der Universität Mainz, Promotion zum Thema „Agenda-Setting“ an der Universität Hohenheim, Hochschulassistent an der LMU München und Professor für Kommunikationssoziologie und -psychologie an der Universität Erfurt. 2006-2008 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) e. V., 2008-2010 Präsident der International Federation of Communication Associations (IFCA).

Forschung zu Medienwirkungen, politischer Kommunikation und Online-Medien; außerdem zur Geschichte insbes. visueller Kommunikationsmedien und zum Bauhaus.

Laufende DFG-Projekte:
- Deutschsprachige illustrierte Magazine der Klassischen Moderne. Digitalisierung und Inhaltserschließung (gemeinsam mit der SLUB Dresden, Dr. Achim Bonte)

Publikationen u.a.: Agenda-Setting (1997); Inhaltsanalyse (2005, 2010); Das Bauhaus am Kiosk. die neue linie 1929-1943 (2007, dt.-engl. Neuausg. 2009); bauhauskommunikation (2009); Skalenhandbuch Kommunikationswissenschaft (2011); Social Navigation (2012).

Kontakt: patrick.roessler@uni-erfurt.de


Anke Blümm, Dr. phil.

Projektkoordination „Bewegte Netze“, Studium der Kirchenmusik, Kunstgeschichte und Germanistik in Heidelberg und Berlin, Stipendium an der International Graduate School der BTU Cottbus (2007-2009), Promotion zum Dr. phil., BTU Cottbus (Prof. Dr. Leo Schmidt /Prof. Dr. Magdalena Droste) zum Thema „Entartete Baukunst“? Zum Umgang mit dem Neuen Bauen 1933-1945 (2011), erschienen 2013 unter gleichnamigem Titel im Fink-Verlag, Paderborn.


Jens Weber, Dipl.-Ing.(FH), M.Sc.

Konzeption und Umsetzung der digitalen Forschungsinfrastruktur und der visuellen Analysewerkzeuge für „Bewegte Netze“. Studium Medientechnik und MediaArchitecture in Leipzig und Weimar. Gründung des Kollektivs „mediaarchitecture.de“ mit Andreas Wolter (2006) als Labor an der Schnittstelle zwischen Medien und Architektur - zwischen Kunst, Gestaltung und Technik. Freiberufliche Arbeit als Interaktionsdesigner, Programmierer und Berater für komplexe Medienprojekte. Dissertation über narrative Strukturen in raumgreifenden Installationen zur Wissensvermittlung (seit 2012).

 http://www.mediaarchitecture.de


Andreas Wolter, Dipl.-Des., M.Sc.

Konzeption und Umsetzung der digitalen Forschungsinfrastruktur und der visuellen Analysewerkzeuge für „Bewegte Netze“. Studium der Gestaltung in Freiburg und Münster (Abschluss 2002) und MediaArchitecture in Weimar (Abschluss 2009). Gründung des Kollektivs „mediaarchitecture.de“ mit Jens Weber (2006) als Labor an der Schnittstelle zwischen Medien und Architektur - zwischen Kunst, Gestaltung und Technik. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Weimarpedia“ an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar 2009-2012 als). Dissertation über die installative Inszenierung von Information (seit 2012).

 http://www.mediaarchitecture.de

Ansprechpartnerin

Dr. Anke Blümm
BTU Cottbus-Senftenberg
DFG-Projekt "Bewegte Netze"
Fakultät 6 - Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung
Fachgebiet Kunstgeschichte
Lehrgebäude 2B, Raum 2.13

Postanschrift:
Konrad-Wachsmann-Allee 8
03046 Cottbus

T +49 (0) 355 69 3602
F +49 (0) 355 69 3088

anke.bluemm(at)b-tu.de