Szczecin Port

Einleitung

Globale Vernetzung und damit einhergehende gesellschaftliche Umbrüche bestimmen in vielfacher Hinsicht die gegenwärtige Produktion städtischer Räume. Die ausgelösten Konversionsprozesse sind durch stark schwankende Rahmenbedingungen nur schwer zu steuern, Entwicklungen nur bedingt vorherzusagen. Zwischen plötzlichem Wachstum und totalem Stillstand ist alles denkbar. Wäre Städtebau somit nur noch reaktiv möglich oder kann aus der prognostischen Unschärfe ein Potential für eine vielfältige und gleichzeitig präzise Entwicklung der Stadt werden?

Die Notwendigkeit, akute Veränderungen des Kontextes direkt in Planungsstrategien einzubauen, verschiebt die Anforderungen an den städtebaulichen Entwurf. Wie können trotz labiler Planungsparameter Ankerstrukturen für zukünftige städtebauliche Entwicklungen generiert werden? Ändern sich die Ansprüche an Gestalt und Qualität von Stadträumen, vom öffentlichen Raum bis zur architektonischen Typologie, wenn kein Endzustand, sondern ein Prozess räumlich gedacht und entworfen wird?

Das Hafengebiet von Stettin (Szczecin) dient hier beispielhaft als Testgelände und Untersuchungsgebiet. Zwischen EU-Beitritt und informellen Mikroökonomien, Werftenpleite und Freihafen, Ostsee und Oder gibt es viele Einflüsse, die die zukünftige Gestalt Stettins bestimmen werden. Nicht alles, was möglich ist, wird auch geschehen. Es sollten Strategien, Stadträume und Gebäudetypen entwickelt werden, die in der Lage sind, auf etwaige Veränderungen des Programms zu reagieren und diese formal aufzunehmen. Einzelne Konfigurationen des Entwurfs, Bebauungsphasen und Architekturen, mussten szenarisch gedacht, simuliert und qualitativ beschrieben werden. Zwischen Leer und Voll, Brachenlandschaft und Stadt.

Prozessorientiertes Entwerfen

Gemeinhin geht man beim städtebaulichen Entwerfen von gesicherten Planungsgrößen aus, auf deren Grundlage stadträumliche Strukturen festgelegt werden können. Etwaige Schwankungen im Programm werden durch in den Entwurf eingebaute Spielräume aufgefangen. Sind die Toleranzen jedoch ausgeschöpft, führt dies zum Zusammenbruch des Masterplans und zu einem neuen Entwurf. So müssen städtebauliche Pläne ständig überarbeitet und an veränderte Nutzungsverteilungen und Bebauungsphasen angepasst werden.

Was aber, wenn von vornherein von einem labilen Planungskontext ausgegangen werden muss? Wenn weder die Art noch der Zeitpunkt einer zukünftigen Nutzung bestimmt werden können, wird man entwerferisch nicht mehr in der Lage sein, ein Endbild zu prognostizieren und festzulegen.

Von planerischer Seite gibt es verschiedene Möglichkeiten auf solche Situationen zu reagieren. Moderations- und Partizipationsverfahren werden angewandt, um durch eine stärkere Einbindung der an der Planung beteiligten Parteien eine nachhaltige Stabilität zu gewährleisten. Gleichzeitig wird versucht Entwicklungsprozesse zu simulieren, um Potentiale aufzuzeigen und verschiedene Szenarien zur Wahl zu stellen. Eine weitere Variante der Dynamik urbaner Räume zu begegnen, ist die besondere Regulation von Teilbereichen. Regelsysteme werden so vereinfacht, dass sie einen flexiblen Umgang mit wechselnden Parametern erlauben.

Vorausgehend wurden innerhalb des Seminars PSR - den Prozess entwerfen verschiedene Beispiele für Strategien und Konzepte aus den Bereichen Partizipation, Simulation, Regulation vorgestellt und diskutiert. Bei der anschließenden Entwurfsaufgabe sollte untersucht werden, inwieweit stadträumliche Strukturen sowie Gebäudetypologien, labilen Grundbedingungen von Stadt angepasst werden können. Es ging hier nicht darum, planerische Verfahren und Techniken zu reflektieren, sondern den Entwurf , und damit den gebauten Raum, neben den oben genannten Themenkomplexen, als eigenständiges Werkzeug zur Steuerung von Entwicklungsprozessen zu begreifen. Wie können Stadträume und Architekturen so angelegt werden, dass sie mit stagnierenden und mutierenden Kontexten arbeiten können?

Aspekte

Kontrolle

In vielen Bereichen der Stadt wie auch der Architektur lässt sich beobachten, wie eine ungebremste ökonomische Dynamik städtische Räume, Strukturen und Typologien bereits beeinflusst. Immer stärker verwandelt sich das städtische Gewebe zu einer Ansammlung urbaner Teilbereiche. Der ursprünglich an den Erschliessungsnetzen der Stadt aus- und eingerichtete öffentliche Raum wird in die Innenbereiche der Baufelder verlagert. Es entsteht eine Art Inselurbanismus.

Neben einer Vielzahl von Gründen ist sicherlich das Bedürfniss nach Kontrolle ein Hauptgrund für diese Entwicklung. Sowohl Vorstadtsiedlungen und Shoppingmalls als auch Blöcke und Passagen werden so hergerichtet, dass das Bild des Stadtraums klar begrenzt und vermarktet werden kann. Die Selektion der Bilder führt in der Konsequenz zur Selektion der Nutzer. Die Offenheit des öffentlichen Raums wie auch der Architektur geht verloren. Nicht allein die Mechanismen der Popkultur sind Anlass für diese Entwicklung. Es ist auch die Unvorhersehbarkeit der räumlichen Entwicklung im erweiterten Kontext neuentwickelter Stadtbereiche. Die sich oft dramatisch verändernden Ausgangsbedingungen zwingen die Städte zu schnellem, reaktivem Handeln. Kontinuität, nachbarschaftliche Zusammenhänge können nicht gesichert werden. Diesem Zustand trägt die nach innen gestülpte Stadt Rechnung, in logischer Konsequenz.

Landschaft

Insbesondere in suburbanen Gebieten wird der Verlust der Kohäsion städtischer Netze deutlich. Siedlungen, Gewerbe- und Lagerflächen fügen sich zu einem Patchworkteppich. Die Ränder, oft monofunktionaler Teilbereiche, sind als Rückseiten, nicht für eine öffentliche, gemeinschaftliche Nutzung im herkömmlichen Verständnis von Stadt ausgelegt. Vielmehr bilden Grünzuge und Brachen die Zwischenbereiche aus. Sowie die Agglomeration insgesamt als Landschaft begriffen werden kann, so ist auch potentiell ihr öffentlicher Raum, als Raum jenseits der Teilöffentlichkeiten, landschaftlich.

Bezogen auf Stadtbereiche, die über lange Zeit nur teilweise bebaut sein werden, bietet die landschaftliche Betrachtung die Möglichkeit den Gesamtraum, also die Summe der Fragmente, komplex zu beschreiben und ihm so eine übergeordnete Bedeutung zu geben.

Infrastruktur

Urbanität entsteht immer dort, wo sich das Bestimmte mit dem Unbestimmten verbindet. Als ursprüngliche, städtische Infrastruktur entwickelte sich der Marktplatz über die Zeit zum Stadtplatz, erweitert durch verschiedenste gesellschaftliche Funktionen. Der Handel als Handlung bedingte eine technische Form, die dann auch für einen erweiterten Gebrauch offen war.

In unsicheren Planungskontexten ist die Infrastruktur oft der einzige Bereich des städtischen Gefüges, der als gemeinsamer Teil beschrieben und festgelegt wird. Die gesicherte Funktion dieses Bereiches ist Grundlage aller weiteren Planungen und Differenzierungen einzelner Projekte und bietet so, als möglicherweise einzige Gemeinsamkeit, das Potential für die Einbindung öffentlicher Programme. Der kleinste gemeinsame Nenner kann der Schlüssel und Ansatz zu einer gesamtheitlichen Vision für ein Planungsgebiet sein.

Flexibilität

Struktur

Global typisierte Investorenprojekte treffen auf Städte, die, mit wenig Handlungsspielraum ausgestattet, nur reagieren können und zur reinen Verwaltung von Angeboten gezwungen sind. In dieser Situation gemeinsame Räume zu schaffen, geschweige denn diese zu gestalten ist schwierig. Das Design des Zwischenraums ist nur noch innerhalb abgeschlossener Abschnitte möglich und zusätzlich durch die Vorgaben der Projektentwickler bestimmt und somit eingeschränkt.

Wenn sich nun ein Stadtraum aus einer Ansammlung verschiedenartiger Teilbereiche zusammensetzt und diese Zusammensetzung nur beschränkt koordiniert werden kann, somit sozusagen das direkte Abbild einer Reihenfolge von Eingaben ist, dann stellt sich die Frage, auf welcher Basis räumliche Strategien einen übergreifenden Zusammenhang des städtischen Gewebes herstellen können. Die planerischen und entwurflichen Festlegungen müssen so ausgerichtet sein, dass sie das gesamte Planungsgebiet in jedem Zustand, zwischen leer und voll, gestalterisch bedingen. Was muss fixiert werden und was kann offen bleiben? Welche städtebaulichen Figuren können eine produktive Beziehung zu einem während der Bebauungsphase mutierenden Programm herstellen. Es gilt die Labilität des Programms als Flexibilität in den Plan einzuschreiben.

Einen Besetzungsprozess räumlich zu steuern, heisst zunächst einmal die Grundlagen für das zukünftige Wachstum zu bestimmen. Werden verdichtet Initialpunkte besetzt oder gibt es eine Feldstruktur, die unhierarchisch belegt werden kann? Ist das Potential der Besetzungsstrategie die Beförderung einer fragmentierten, heterogenen Besiedlung und der daraus folgenden Freiheiten oder liegt der Spielraum in der Flexibilität des städtischen Gewebes, also der Maschenweite des Erschliessungsnetzes und der Parzellierungen? Beide Ansätze sind getrennt, wie auch in Kombination denkbar. Wichtig ist es, das Planungsgebiet als Ganzes zu betrachten und zu erfassen.

Typologie

Die Besiedlungsart und die daraus resultierende Veranlagung der Gesamtstruktur, bestimmt auch das Verhältnis der Gebäude, also der Bebauungstypen, zum Stadtraum. Offenheit, Veränderbarkeit und Möglichkeiten zur Aneignung einer Bebauungsstruktur werden als Konsequenz der Gesamtstrategie festgelegt. Ein spezialisierter, introvertierter Gebäudekomplex kann so angelegt werden, dass er sich im Laufe der Zeit einer veränderten Umgebung anpasst und mit dem wachsenden Umfeld vernetzt. Auch kann die Bebauungsstruktur in ihrer Korngröße so gewählt sein, dass verschiedenste Nutzungen in nur einem variierenden, addierbaren Typen Platz finden. Heterogenität oder Flexibilität, die Form der Architektur wird durch die Konfiguration der Stadt provoziert.

Öffentlicher Raum

Unerwartete, dramatische Veränderungen, wie auch lange Phasen des Stillstands bewirken, dass sich der Stadtraum insgesamt in einem Zustand des permanenten Mangels befinden wird. Entsprechend der Dynamik der Entwicklung kann der öffentliche Raum, als verbindender Raum, nicht mehr auf Grundlage eines einzelnen prädefinierten Bildes entworfen werden. Die Veränderungen von Struktur und Architektur während des Bebauungsprozesses bewirken, dass verschiedene Sequenzen, Abfolgen von Bildern und Situationen, angedacht werden müssen. Einschränkungen generieren immer auch Freiräume. Visionen für die Nutzung und Ausprägung von Zwischen- und Resträumen müssen aus den Potentialen des Mangels heraus entworfen werden.

Raumprogramm

Das den Entwürfen zugrundegelegte Raumprogramm wurde während der Bearbeitungszeit modifiziert. In der ersten Phase war nur ein Teil des auf der Gesamtfläche möglichen Bauvolumens vorgegeben. Auf dieser Grundlage wurden Untersuchungen zur Besiedlungsstrategie durchgeführt. In einer zweiten Phase kamen dann weitere Baumassen hinzu. Zusätzlich vielen Teile des Anfangsprogramms weg. Die Variation des Raumprogramms während des Entwurfsprozesses diente dazu, die Labilität des realen Planungskontextes in der Aufgabenstellung zu spiegeln.

Entwurfsschritte

Struktur

Zunächst sollte eine Besiedlungsstrategie für das gesamte Entwurfsgebiet erarbeitet werden. Dabei galt es, diverse Spielarten der städtebaulichen Raumaufteilung zu bedenken. Flexibilität durch Heterogenität, Flexibilität durch Variabilität, zu beziehen auf Struktur und Typologie, Punkt, Linie, Fläche. Weiterhin musste die komplexe Gestalt des Gesamtraumes, d.h. bebauter wie unbebauter Räume, in jeder Entwicklungsstufe beschreibbar sein und die Besetzung des Entwurfsgebietes in mindestens drei Phasen, zwischen Leer und Voll, prognostiziert und simuliert werden.

Typologie und öffentlicher Raum

Die Konsequenzen der angedachten Entwicklungsstrategie werden in der Ausformung der Architektur, sowie der Zwischenräume sichtbar. Die auf das Abfangen der programmatischen Schwankungen ausgelegte Struktur bedingt die Art der Bebauung und hat Auswirkungen auf die Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums. Die in den jeweiligen Strukturen enthaltenen Spielräume spiegeln sich im Entwurf der Gebäudetypen wie auch in deren Verhältnis zum Aussenraum. Zwischen selbstbezogenen Investorenprojekten und Lagerhausstrukturen sind die unterschiedlichsten Atmosphären und Zusammenhänge denkbar. Anhand von Detailausschnitten, Grundrissen und Perspektiven sind diese vertiefenden Betrachtungen des städtebaulichen Entwurfs dargestellt.

Szczecin Port ist entstanden im Rahmen der Lehrveranstaltung PSR - den Prozess entwerfen (Seminar und Entwurf, WS 2002/2003, SS 2003), in Kooperation der Lehrstühle Städtebau und Entwerfen, Theorie der Architektur und Stadt- und Regionalentwicklung

BTU Cottbus

Lehrstuhl Städtebau und Entwerfen
Prof. Heinz Nagler
Dipl.-Ing. Christoph Heinemann
Dipl. Ing. Christoph Wessling

Lehrstuhl Theorie der Architektur
Dr. Riklef Rambow

Lehrstuhl Stadt- und Regionalentwicklung
Dipl.-Pol. Corinna Kennel, Thomas Knorr-Siedow MA