Was ist ANSYS ?

Mit weltweit etwa 16000 Installationen ist ANSYS eines der bekanntesten Programme für Problemlösungen technischer und naturwissenschaftlicher Art nach der Methode der finiten Elemente. Die finite Elementmethode (FEM) ist besonders in der Ingenieurtechnik eines der beliebtesten, aber vom mathematischen Standpunkt aus gesehen numerisch aufwendigsten Verfahren zur Lösung mathematischer Modellierungsprobleme, die auf partielle Differentialgleichungen 2. Ordnung aufbauen. Kein anderes numerisches Lösungsverfahren wurde mit fortschreitender Rechentechnik in den letzten 3 bis 4 Jahrzehnten so intensiv weiterentwickelt wie die FE-Methode. Bei einer eigenständigen Modellierung auf der Basis einer FORTRAN- oder C-Programmierung stellte die Geometrieerstellung mit einer geeigneten Vernetzung der Diskretisierungspunkte, an denen die numerischen Lösungen zu bestimmen sind, stets neben der Ergebnisauswertung das größte Problem dar. Die FE-Methode bietet mit seinem Elementkonzept (kleine Flächen- oder Volumenabschnitte des Lösungsgebietes) eine Möglichkeit, diese Diskretisierungstechnik für den Nutzer so rechentechnisch zu vereinfachen, daß mit einem schon fast CAD-ähnlichen FEM-Vorprogramm (Preprozessor) das zu berechnende Modell einfach erstellt und automatisch vernetzt werden kann. Auch die Auswertung der nach einer Rechnung erhaltenen großen Ergebnismengen in Form von Farbplots usw. erfolgt automatisch im sogenannten Postprozessor. Gerade diese gewaltige Leistungsfähigkeit von Pre- und Postprozessor hat maßgeblich zur Verbreitung von FEM beigetragen. Viele bekannte CAD-Systeme besitzen heute schon ein Interface zu ANSYS, so daß in einem fremden CAD-Programm geschaffene Geometriemodelle einer Vernetzung in ANSYS zugeführt werden können.
Sicherlich ist für einen theoretischen Physiker, der sich z.B. mit Energiebetrachtungen im Elementarteilchenbereich befaßt, nicht immer die FE-Methode das geeignete Instrumentarium. Dies liegt daran, daß die etwas komplizierte FE-Methode in Form kommerzieller Programmpakete nur grobe Fehlerabschätzungen zuläßt. Doch in über 95% der technischen Problemstellungen ist die FEM-Genauigkeit völlig ausreichend.

An unserem Universitätsrechenzentrum steht der umfassende ANSYS-Komplex "Multiphysics" zur Verfügung, der fast alle Bereiche abdeckt. Wer diese Vielzahl von verschiedenen häufig gebrauchten Disziplinen sieht, wundert sich nicht mehr, daß ANSYS über eine Interpretersprache von mehr als 1000 Kommandos verfügt. Alle Probleme, die Gleichgewichtszustände (elliptische Differentialgleichungen, wie z.B. die Potentialgleichung) bzw. irreversible Prozesse (parabolische Differentialgleichungen, wie z.B. die instationäre Wärmeleitungs / Diffusionsgleichung) oder reversible Prozesse (hyperbolische Differentialgleichungen, wie etwa die Schwingungsgleichung) beschreiben, lassen sich in ANSYS direkt oder in analoger Form lösen.
Selbstverständlich können fast alle der über 1000 ANSYS-Befehle auch über GUI (Graphic User Interface) per Mausklick über die Windowsoberfläche initiiert werden. Diese typisch amerikanische Interaktivmethode verlangt teilweise wieder speziell zu erlernende Windows-Behandlungstechniken in ANSYS. Viele Kommandos, die nur im Preprozessor gelten, erzeugen ein zwei- oder dreidimensionales Geometriemodell, das durch Materialeigenschaftszuweisungen in Form zumeist temperaturabhängiger Tabellen ein aus verschiedensten Substanzen zusammengesetztes Gebilde (Geräte, Maschinenteile usw.) entstehen läßt. Aus diesen Materialwerten bilden sich intern automatisch die Koeffizienten der zugrundeliegenden partiellen Differentialgleichungen. Auf die Richtigkeit der gewählten Maßeinheiten der Eingabewerte muß der ANSYS-Nutzer in der Regel selbst achten. Für das FLOTRAN-Modul bzw. für ANSYS 5.3 gibt es erste Anfänge von Materialdatenbanken, die für unterschiedlich zu wählende Maßsysteme die passenden Materialwerte für gängige Materialien (übliche Stähle, Reinmetallwerte von Kupfer, Vanadium, Titan usw.) automatisch anbieten. Erst nach erfolgreicher Vernetzung des Gesamtmodells wird im Lösungsprozessor von ANSYS die Differentialgleichung numerisch gelöst. Nach einer Rechnung von wenigen Sekunden oder vielen Tagen kann im Postprozessor eine ausführliche Ergebnisauswertung erfolgen. Sie erstreckt sich von einfachen Kurvendarstellungen über farbige Kontur-/ Vektorplots bis hin zu Animationen.
Die über 1000 ANSYS-Kommandos von ANSYS-"Multiphysics" schrecken viele Interessenten zu Unrecht ab. Ein reiner Thermodynamiker oder Elektrotechniker kommt mit sehr viel weniger Kommandos aus.
Für ANSYS-Einsteiger ist weniger die Unkenntnis der Befehle die primäre Schwierigkeit, sondern die Erarbeitung einer Modellkonzeption mit klarer Zielstellung. Jeder Anfänger sollte mit einer eigenen, für sich lohnenden Problemstellung in ANSYS einsteigen. Als Starthilfe kann ein passendes Beispiel von den über 200 Kochrezeptmodellen des Verification Manual, das ab ANSYS 5.3 als Standardhilfe angeboten wird, dienen. Ein reines Nachempfinden von Beispielen zeigt zwar beeindruckend die Leistungsfähigkeit von ANSYS, trägt allerdings kaum zur Fähigkeit eigenständiger Modellierung bei.
ANSYS vermittelt keine Grundkenntnisse in technischer Mechanik, Festigkeits-, Wärme bzw. Strömungslehre usw., sondern setzt diese grundsätzlich voraus.