Wozu dient die Modellierung mit ANSYS?

Da der Ersteinstieg in ANSYS-Multiphysics mit beträchtlichem Aufwand verbunden ist, sind die Erwartungshaltungen mancher Nutzer extrem hoch. Niemals wird man über mathematische Modellierungen irgendwelche neuartigen Phänomene entdecken. Wenn dies eintritt, so ist dies mit Sicherheit auf falsche Modellierung zurückzuführen. Modellierung ist nichts weiter als eine gute Nachbildung der Realität im Computer. Ein Erfolg ist es oft schon, wenn die Modellergebnisse mit den praktischen Meßergebnissen der Realität übereinstimmen. Doch diese Übereinstimmung ist lediglich eine Modellqualitätskontrolle. Jedes gut konzipierte Modell muß zumindest irgend einen vorhersagenden Wert (Modellierungsziel) besitzen. Häufig interessieren Extremfälle, die man in der Realität nicht oder nur mit zu großem Aufwand überprüfen kann. In der industriellen Praxis werden immer häufiger Konstruktionen mittels FEM bereits im Entwurfsstadium am Bildschirm untersucht und optimiert, bevor irgendein Prototyp davon physikalisch existiert. Damit kann die Anzahl teurer Prototypen eingespart und die Entwicklungszeit stark reduziert werden. Dies trifft insbesondere für völlig neue Produkte zu. Da in der gegenwärtigen Zeit insbesondere in Deutschland kaum mit revolutionären Neuheiten zu rechnen sein wird, besteht noch die Möglichkeit über ANSYS die alten Produkte nach irgendwelchen Zielstellungen wesentlich zu verbessern. Dazu bietet ANSYS einen Optimierungsprozessor, der automatisch über verschiedene Variablen eines Modells (meistens geometrische Maße) optimieren kann. Allerdings kann dieser Prozessor über jede in ANSYS formulierte Variable optimieren. Dazu zählen auch Materialwerte, Zeitintervalle (z.B. Minimalzeiten zum spannungsfreien Abkühlen von geschmolzenem Glas), Lagerungen bzw. Lasten (Randbedingungen) usw. Damit ist die Möglichkeit gegeben, fast alles zu optimieren.

Was allerdings ANSYS nicht kann, sind Modellierungen von komplexen Bewegungsabläufen innerhalb sich schnell bewegender Mehrkörpersysteme. Jedoch existiert eine Kopplungsmöglichkeit von ANSYS zu dem Mehrkörpersimulationsprogramm ADAMS, über das wir im Rechenzentrum nicht verfügen.

In jüngerer Zeit wird mehr und mehr versucht, über ANSYS in den Mikrobereich von Strukturen vorzudringen. Doch hier existieren Grenzen, da die Materialgesetzmäßigkeiten in diesem Bereich eigentlich erst erforscht werden müßten. Die Leistungsfähigkeit von ANSYS beruht ja letztendlich auch darauf, daß z.B. zu jeder Strukturberechnung die zuvor gemessenen Spannungs-Dehnungs-Diagramme der Modellmaterialien mit eingegeben werden. So wird man mit ANSYS nicht das Problem etwa der gezielten Abkühlung von beliebigen glühenden Stahlteilen mit exakter Materialeigenschaftsvorhersage lösen können. Es fehlen dazu ganz einfach die Gesetzmäßigkeiten zwischen Kühlgeschwindigkeiten und der Bildung von Stahlstrukturen mit den erwünschten Materialeigenschaften. Vergleichbare Untersuchungen, wie etwa die Bestimmung der Hookeschen Geraden im Makrobereich, sind im Mikrobereich von Strukturen vorerst kaum möglich. Fraglich ist auch, ob genau die Differentialgleichungen, die im makroskopischen Bereich die Realität recht gut widerspiegeln, auch im Mikrobereich ihre Berechtigung haben.