Peter Parler (1330/ 1333 – 1399) Erfindungen

Das Kapitel „Erfindungen“ unterteilt sich in drei Teile. Im ersten wird auf das Bauen in der Zeit des Mittelalters mit seinen Bauprozessen und Bautechniken eingegangen. Daraufhin werden die Neuerungen im Bauen, welche auf Peter Parler in der Zeit der Spätgotik zurückgehen, beleuchtet. Ein Vergleich zur Frühgotik soll zum besseren Verständnis der Weiterentwicklungen des Baumeisters, die in einer Liste kurz zusammengefasst werden, beitragen. Im letzten Teil des Kapitels werden die technologischen Entwicklungen Peter Parlers näher kommentiert.

Das Bauen in der Zeit des Mittelalters

Bauablauf einer gotischen Kathedrale

Die Arbeiten an einer Kathedrale (= Dom bzw. Bischofskirche. Der Begriff „Münster“ wird oft gleichbedeutend geführt.) begannen mit der Fundamentlegung des Chores. Dafür wurden mehrere Fundamentgruben ausgehoben und die Fundamente hineingesetzt (Abb. 4.01). Sie sollten aus dicken Mauern bestehen und sieben bis acht Meter tief unter dem Boden liegen, um das Gebäude stützen, die rechtwinklige Lage sichern und Vertikallasten aufnehmen zu können. Nach der Grundsteinlegung wurden die Chorwände mit den Strebepfeilern erstellt (Abb. 4.02). Die Strebepfeiler wurden hierbei der Außenwand vorgelagert. Über sie konnte mit Hilfe der Strebebögen die Last des Gewölbes auf die Fundamente abgeleitet werden (Abb. 4.03). Die Tragstruktur wurde damit nach außen verlagert und exponiert. Während des Bauprozesses mussten die Baumeister immer auf das Vorhandensein einer hinreichenden Queraussteifung achten. Anschließend wurde das Dach gebaut. Nachdem das Dach aufgesetzt war, konnten die Arbeiten an den Gewölben beginnen. Hierbei wurden zunächst Holzgerüste installiert, auf denen die Deckengewölbe errichtet wurden (Abb. 4.04). Nach der Erstellung des Chores konnten die Arbeiten an Querhaus und Hauptschiff nach gleichem Prinzip weitergehen. Die letzten Bausteine einer Kathedrale waren immer deren Westfassade und der Vierungsturm. Waren diese vollendet, wurde die Kathedrale mit großer Zeremonie eingeweiht.

Mittelalterliche Bautechniken

Wie wurde im Mittelalter gebaut? Welche Fügemethoden, Baumaterialien und Bautechniken wurden verwendet? Diese Fragen sollen im Folgenden näher untersucht werden. Die damaligen Baumeister entwickelten schon früh Methoden, mit denen sie Materialien kraftschlüssig miteinander verbinden konnten, ohne dabei den Kräften der „arbeitenden Steine“ entgegenzuwirken. Dies hat zur Folge, dass bspw. auch heute am Prager Dom noch kein herkömmlicher, neuzeitlicher Mörtel verwendet werden kann. Die Mauern und die Gebäudeteile „arbeiten“ ständig. Ihre Bewegung wird verursacht durch Witterung, Temperaturschwankungen und die einwirkenden Kräfte. Gewöhnlicher Mörtel würde abplatzen oder den Stein zerstören. Eine Alternative, die damals wie heute bei Restaurationsarbeiten benutzt wird, ist das Verbinden der Steine mit Blei (Abb. 4.05). Blei ist im Vergleich zu Mörtel weich und gibt an den entsprechenden Stellen nach. Die einzelnen Steine werden aufeinandergesetzt und anschließend wird erwärmtes Blei in die Zwischenräume gegossen. Dadurch wird eine Verbindung geschaffen, die auch Wind und Wetter standhalten kann.

Beeindruckend ist die hohe Genauigkeit, mit der die einzelnen Bauteile bearbeitet wurden. Ein Gewölbe beispielsweise besteht aus vielen einzelnen Teilen, die beim Zusammenfügen genau aufeinanderpassen müssen, um die optimale Kraftverteilung zu gewährleisten. Das setzt eine hochpräzise Arbeit der Steinmetze voraus (Abb. 4.06). Aber die einzelnen Steine müssen nicht nur genau passen, auch der ästhetische Eindruck muss stimmen. Gerade am Veitsdom kann man die Liebe zum Detail an allen Ecken und Enden entdecken. Skulpturen, Büsten und Verzierungen prägen das Erscheinungsbild des Domes. Aber auch das Strebewerk und Stellen, die für Besucher des Domes nicht zu sehen sind, sind liebevoll geplant und exakt ausgearbeitet. Das zeigt den hohen Anspruch des Planers, den Stolz der Steinmetze und zugleich die große künstlerische Leistung.

Parlers Erfindungen/ Die wesentlichen Änderungen von der Frühgotik zur Spätgotik. Tabellarische Übersicht

Was waren nun die wesentlichen Neuerungen, die Peter Parler mitbrachte? Zwischen den Anfängen der Gotik (1140; siehe Wilhelm von Sens († 1180)) und dem Wirken Peter Parlers hatte sich an den Bauqualitäten und den technischen Errungenschaften bereits viel verändert. Wie in der Frühgotik blieben jedoch auch in der Spätgotik die folgenden architektonischen und bautechnischen Hauptziele bestehen: Das Auflösen der Wände zugunsten lichtdurchfluteter Räume, das Exponieren der Tragstruktur mit Hilfe von Strebepfeilern und Strebebogen nach außen und das Erreichen einer größtmöglichen Höhe des Sakralbaus. Doch in der Spätgotik wurden diese Grundprinzipien noch weiter ausgereizt. Die Gewölbe wurden immer leichter, die Dienste immer dünner und eleganter und das Bauwerk immer weiter in Maßwerk aufgelöst. Die Gewölbe erhielten immer ausgefallenere Formen wie zum Beispiel das Netzgewölbe oder das Fächergewölbe. Letzteres spielte hauptsächlich in der englischen Gotik eine Rolle. Peter Parler war maßgeblich an der Ausarbeitung neuer Gewölbeformen beteiligt. So erfand er den hängenden Schlussstein (Abb. 4.07), nahm den Gurtbogen und Rippen die tragende Wirkung, erfand das Luftrippengewölbe (Abb. 4.08) und gab den Gebäuden eine ganz neue Eleganz und Bewegtheit. Ihm verdanken wir auch neue Formen des Netzgewölbes (Abb. 4.09).

JahrErfindung/ genutzte TechnologieBemerkungen
O.A.Hängender Schlussstein 
(Abb. 4.07)
Erfindung/ Neukreation durch Peter Parler.
O.A.Luftrippengewölbe
(Abb. 4.08)
Erfindung/ Neukreation durch Peter Parler.
O.A.Netzgewölbe
(Abb. 3.04-3.05, 4.09, 4.12)
Entwicklung neuer Formen/ Weiterentwicklung des Netzgewölbes.
Parlers Erfindungen. Ausführliche Erläuterungen

Gerade durch seine Erfindungen in der Wölbtechnik beeinflusste Peter Parler maßgeblich die Architektur der Hochgotik. Grundsätzlich verfolgte Peter Parler dabei 3 Ansätze:

1. Annäherung der Gewölbejoche an eine quadratische Grundrissform.
2. Annähernd gleichgroße Gewölbefelder.
3. Verschneiden der Gewölberippen in einem Winkel von 45° bzw. 90°.

Mithilfe dieser Grundsätze war es Parler möglich, ganz neue Gewölbeformen ins Leben zu rufen wie bspw. das Luftrippengewölbe (Abb. 4.08) oder bekannte Gewölbeformen weiterzuentwickeln wie das Netzgewölbe (Abb. 4.09). Berühmt ist der Dombaumeister auch wegen dem von ihm entwickelten, hängenden Schlusssteins (Abb. 4.07). Dort, wo in der Regel die größten Kräfte auftreten, und da, wo für gewöhnlich Stützen oder Pfeiler zu finden sind, um die Lasten abzufangen, löst Parler die Tragstruktur auf und lässt Bauteile förmlich schweben.

Hängender Schlussstein

Das Netzgewölbe gestaltete Peter Parler in vielen unterschiedlichen Variationen. Zum Beispiel zerlegte Peter in der Wenzelskapelle des Veitsdoms die Kreuzrippen in eine Doppelspur paralleler Rippen (Abb. 4.10 (rot)), die er gleichzeitig zu Transversalrippen werden ließ (Transversalrippen: Rippen im stehenden Halbkreisbogen von der Mitte der einen Quadratseite zur angrenzenden). In der Sakristei des Veitsdoms beließ er die Diagonalrippen in den Ecken (Abb. 4.11 (schwarz)) und fügte zusätzlich Transversalrippen ein (Abb. 4.11 (rot)). Darüber hinaus kombinierte er die Gewölbestruktur mit orthogonal zu den Jochseiten verlaufenden Rippen (Abb. 4.11 (grün)), die sich wie die Diagonalrippen inmitten des Joches schneiden. Durch das Zusammenspiel der verschiedenen Rippen entstand ein fächerartiges Geflecht, mit dem sich das Gewölbe förmlich selbst trägt. Diese technische Errungenschaft und die dadurch selbsttragende Wirkung hob Peter Parler sogar noch hervor, indem er in der Mitte, in der die Rippen zusammenlaufen, einen ornamental gestalteten Schlussstein anhing – der sogenannte hängende Schlussstein (Abb. 4.07).

Netzgewölbe

Im Hochchor des Veitsdoms arbeitete Peter Parler mit einer dynamischen Raumbewegung, die durch die fehlenden bzw. unterbrochenen Gurtbogen erreicht wurde. Dort, wo für gewöhnlich Gurtbogen das Gewölbe quer durchteilen und auf diese Weise die Ausdehnungen der Joche nachzeichnen, störte Parler bewusst die Struktur und ließ die Diagonalrippen die beginnenden Gurtbogen auffangen (Abb. 3.04-3.05, 4.09, 4.12). Wiederholt entwickelte Peter eine Doppelspur aus parallel gestellten Rippen. Er löste die Dienste und die Rippen von ihrer konstruktiven Funktion und schuf ein Parallelrippengewölbe. Hierbei wurden Diagonalrippen und Transversalrippen „identisch“. Peter Parler erzeugte hierdurch ein Netzgewölbe, das über den fünf Jochen des Hochchors ein einheitliches Gewölbespiel und eine Raumbewegung beschreibt. Wieder betonte er die Stabilität seiner Konstruktion, indem er in die Mittelrhombenfelder ornamentale Schlusssteine hing. Nach Peter Parlers Tod 1399 ging die Bautätigkeit in Prag stark zurück und die Kraft der Prager Dombauhütte verlor sich. Die Weiterentwicklung der „parlerischen“ Gewölbeformen erfolgte von nun an in anderen Bauhütten wie bspw. in Wien, Ulm, Landshut und Freiburg.

[LEGNER 1978b, S. 47]