Der gelebte Raum Eine Annäherung

»Vergeblich, großmütiger Kublai, wird mein Versuch sein, dir die Stadt Zaira mit den hohen Bastionen zu schildern. Ich könnte dir sagen, wie viele Stufen die treppenartig angelegten Straßen aufweisen, welches Maß die Bögen der Laubengänge haben, mit was für Zinkplatten die Dächer gedeckt sind; doch ich weiß schon, daß dies wäre, als sagte ich dir nichts. Nicht daraus besteht die Stadt, sondern aus Beziehungen zwischen ihren räumlichen Abständen und den Geschehnissen ihrer Vergangenheit: die Bodenhöhe einer Straßenlaterne und die baumelnden Füße eines erhängten Usurpators; der von der Straßenlampe zur gegenüberliegenden Brüstung gezogene Draht und die Girlanden über dem Weg, den der Hochzeitszug der Königin nimmt; die Höhe jenes Balkongeländers und der Sprung des Ehebrechers, der im Morgengrauen darüber hinwegsetzt; die Neigung eines Abflußrohrs und das Hindurchschlüpfen einer Katze in dasselbe Fenster; die Schußlinie eines plötzlich hinter dem Kap aufgetauchten Kanonenboots und die Granate, die das Abflußrohr zerstört; die Risse in den Fischernetzen und die drei Alten, die netzeflickend auf der Mole sitzen und sich zum hundertsten Male die Geschichte vom Kanonenboot des Usurpators erzählen, der, wie es heißt, als uneheliches Kind der Königin auf ebendieser Mole in Windeln ausgesetzt worden war.«

In dieser Beschreibung aus Italo Calvinos »Unsichtbaren Städten« ist bereits viel enthalten davon, was der gelebte Raum ist. Er besteht nicht nur aus Architektur, sondern ebenfalls aus Handlungen und den Spuren, die diese an der Materie hinterlassen. Er besteht aus Geschichten und Ereignissen, aus Menschen, Tieren und Steinen.

Diesen Raum und seine Entstehung besser zu verstehen ist das Ziel des Seminars. Dabei werden uns sowohl theoretische Texte sowie literarische, bildliche und filmische Arbeiten unterstützen. Wer ein Interesse an der Wechselwirkung zwischen gebautem Raum und Gesellschaft hat, dem sei das Seminar empfohlen.

Das Seminar umfasst 2 SWS und wird in Verbindung mit der Vorlesung  »Kunstgeschichte II – Kunst und Architektur der Gegenwart« bei Prof. Dr. Sylvia Claus angeboten. Alternativ kann das Seminar »The Production of Space – Close Reading: Henri Lefebvre« besucht werden.

Anforderungen
Wöchentliche Textlektüre sowie dazugehörige Reading Responses.

Hauptverantwortliche
Anna Derriks

Module
25421, 25431, 25507, 13675

Seminar
Montags, 11.30 - 13.00 Uhr, Raum LG 2C, Raum 315

Beginn
15. April 2024

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