Skandale machen Normverletzungen in großem Stil sichtbar, produzieren öffentliche Empörung über ein vermeintliches Fehlverhalten und lassen im Verstoß die Regeln der jeweiligen diskursiven und performativen Praxis sichtbar werden. Während beispielsweise in der Endphase der Bush-Administration Verletzungen des Kriegs- und Menschenrechts in Haditha, Abu Ghraib oder Guantanamo von den westlichen Medien skandalisiert wurden, empörte man sich kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers vorzugsweise über Äußerungen, die nicht konform mit der medialen Selbstinszenierung der USA als einem singulären Opfer gingen – so etwa über Karlheinz Stockhausens Statement, die Attentate seien „das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat, […] das es überhaupt gibt für den Kosmos.“
Hieran zeigt sich beispielhaft, dass sich Skandale nicht nur über ihren jeweiligen Diskurs hinaus ausweiten können. Ein künstlerisches Statement kann zum Politikum werden. Auch scheint das, was als skandalträchtig gilt, historisch und nicht zuletzt auch massenmedial bedingt: Erst im Verstoß gegen ein jeweils gültiges Tabu und im Rahmen massenmedialer Verbreitung kann sich ein Skandal voll entfalten, überhaupt erst zu einem Skandal werden. Das gilt nicht nur für politische Skandale á la Watergate, sondern auch für kulturelle oder medial inszenierte, wie die Sloterdijk-Debatten, Reich-Ranickis Wutrede anlässlich des Fernsehpreises 2008 oder Janet Jacksons „Nippelgate“.
Die Teilnehmer der Tagung wollen sich mittels quantitativer und qualitativer Methoden dem Phänomen des „modernen Skandals“ in drei Panels nähern. Innerhalb der thematisch ausgerichteten Panels werden – in der Regel ausgehend von Fallanalysen – Überlegungen zur Rekurrenz der Strukturen und Ökonomien, der Mechanismen und Strategien von Skandalen im Feld der Politik, der Kultur und der Medien angestellt. Innerhalb dieses Rahmens sollen die Referate Beiträge zur Weiterentwicklung der theoretischen Beschreibung von Skandalisierungsprozessen aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und mittels unterschiedlicher methodischer Ansätze liefern.
Politikskandale - Skandalpolitik
Referent | Titel |
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Frank Bösch (Gießen) | Die Medialisierung der Empörung: Skandale in historischer Perspektive |
Henning Holsten (Berlin) | Die Kunst der Skandalisierung. Maximilian Harden als Vorreiter einer neuen Skandalkultur im wilhelminischen Kaiserreich |
Annika Klein (Frankfurt a.M.) | Hermes, Zeigner, Erzberger: Korruptionsskandale in der Weimarer Republik |
Arno Görgen (Ulm) | Berichterstattung zu Kindesmisshandlung in der Spätmoderne: Strukturen, Prozesse, Probleme |
Ina Kolanowski (Mainz) | Skandalisieren - zwischen Ereignis und Inszenierung |
Michael Holldorf (Kiel) | Skandale im Lichte Hannah Arendts politischer Theorie |
Kulturskandale - Skandalkultur
Referent | Titel |
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Johann Holzner (Innsbruck) | Kulturskandale im Beziehungsraum zwischen Literatur und Macht |
Sascha Seiler (Mainz) | Inszenierung von sexuellem Missbrauch in JT Leroys "Sarah" und Andrew Jareckis "Capturing the Freidmans" |
Lars Koch (Siegen) | Sloterdijk-Debatte 2.0: Anthropologie im diskursiven Spannungsfeld von Biotechnologie, Ökonomisierung und Zukunftsangst |
Anke Steinborn (Weimar) | Frauenmord und Skandal viral - Young British Art. Ein Fallbeispiel |
Markus Brunner (Wien) | Wie dem Kunstskandal das kritische Potential abhanden kam. Zur Genealogie des ästhetischen Schocksx |
Medienskandale - Skandalmedien
Referent | Titel |
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Steffen Burkhardt (Hamburg) | Skandal, medialisierter Skandal und Medienskandal. Eine Typologie öffentlicher Empörung |
Franziska Oehmer (Zürich) | Wann ist ein Skandal ein Medienskandal? Eine Kartographie des Skandalbegriffs im Nachrichtenmagazin "Der Speigel" |
Julia Metag (Münster) | Skandalisierung des ostdeutschen Rechtsextremismus in der Berichterstattung west- und ostdeutscher Tageszeitungen |
Stefan Hauser (Zürich) | Dopingskandale in der Sportberichterstattung. Eine kotrastive Analyse |
Olga Galanova (Chemnitz) | Von der privaten Erzählung zum öffentlichen Ereignis: Skandal als Medium televisueller Konstruktion sozialer Beziehungen |
Ingo Landwehr (Weimar) | Unfundiert, tendenziös, unnötig verletzend: "Geenstijl" oder Das Medium ist der Skandal |