Fritz Leonhardt (1909 – 1999) Biografie

Tabellarische Biografie
1909Geburt am 11. Juli in Stuttgart, Deutschland (damals: Deutsches Reich).
1927Abitur am Dillmann-Gymnasium, Stuttgart, Deutschland (damals: Weimarer Republik).
1927Studium des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Stuttgart bis 1931. Lehrer unter anderem Otto Graf (1881-1956) und Emil Mörsch (1872-1950) .
1927Während des Studiums ausgiebige Wanderungen über die Alpen bis nach Florenz und Neapel in Italien.
1932Start von Leonhardts USA-Reise per Schiff von Bremerhaven, Deutschland am 4. November.
1932Im November Ankunft in New York City, New York, USA und dreiwöchiger Aufenthalt. Studienbesuche verschiedener bedeutender, teils noch im Bau befindlicher Bauwerke wie z.B. die George Washington Bridge und bekannter Ingenieure wie O.H. Ammann (1879-1965) oder D.B. Steinman (1886-1960).
1933Sechsmonatiges Studium an der Purdue University in West Lafayette, Indiana, USA. 
1933Dreimonatige Hitch-Hike-Tour durch die USA. Dabei Besuch unter anderem folgender Stationen: die Baustelle der Golden Gate Bridge in San Francisco, Kalifornien, der Bau des Hoover Dam’s (Hoover-Staudamm) bei Boulder City (unweit von Las Vegas), Nevada und Mexico City, Mexiko.
1933Start seiner Rückkehr von New York City aus nach Deutschland am 28. September.
1934Ab Januar des Jahres Arbeit im Stuttgarter Ingenieurbüro von Karl Schaechterle (1879-1971) als Angestellter der Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen.
1935Bis 1938 Arbeit als Brückenbauingenieur (Regierungsbaumeister) bei der deutschen Reichsautobahn, Berlin, Deutschland (damals: Deutsches Reich).
1938Promotion zum Dr.-Ing.
1939Gründung des Ingenieurbüros „Dr.-Ing. Fritz Leonhardt, Regierungsbaumeister“ in München und Tätigkeit als freiberuflicher Ingenieur in München, Köln und Stuttgart.
1943Arbeit als Büroleiter der Organisation Todt in Estland bis 1944. Überwachung des Baus der Baltölwerke.
1943Treffen im Juni mit Eugène Freyssinet (1879-1962) in Paris, Region Île-de-France, Frankreich. Fachlicher Austausch zu Spannbeton.
1944Leitung der Abteilung Bauforschung, Entwicklung und Normung der Organisation Todt durch Leonhardt in München.
1946Brückenbauingenieur beim Wiederaufbau in Köln, Deutschland.
1953Gründung des Ingenieurbüros „Leonhardt und Andrä“ in Stuttgart.
1953Planung des ersten Stahlbeton-Fernsehturms in Stuttgart bis 1956.
1958Ernennung Leonhardts zum Professor für Massivbau an der Technischen Hochschule Stuttgart (1967 Umbenennung in Universität Stuttgart).
1960Übernahme des Vorsitzes des Ausschusses der Internationalen Vereinigung für Brücken- und Hochbau (IVBH).
1967Bis 1972 Arbeit an den Planungen zum Deutschen Pavillon bei der Weltausstellung in Montreal, Provinz Québec, Kanada sowie den Olympiabauten in München, Deutschland.
1967Tätigkeit als Rektor der Universität Stuttgart bis 1969.
1970Gründung der Gesellschaft „Leonhardt, Andrä und Partner, Beratende Ingenieure VBI“ in Stuttgart.
1974 Emeritierung Leonhardts. Nachfolger Leonhardts am LS Massivbau: Jörg Schlaich (*1934).
1999Am 30. Dezember Ableben in Stuttgart.
Herkunft und Jugend

Fritz Leonhardt wurde am 11.07.1909 in Stuttgart, Deutschland, damals Deutsches Reich geboren. Seine Kindheit war durch den Ersten Weltkrieg geprägt. Während der Vater im Krieg diente, verbrachte Leonhardt mit seiner Mutter und seinem Bruder viel Zeit bei der Großmutter auf dem schwäbischen Land. Leonhardt beschrieb diese Zeit als sehr entbehrungsreich. Die ländliche Versorgung mit den nötigsten Lebensmitteln bei seiner Großmutter war dabei ein wichtiger Rückhalt. Leonhardts Vater war Architekt. Er brachte seinem Sohn bereits früh die Baukunst nahe. In den Ferien sammelte Leonhardt in der Schreinerei seines Onkels Erfahrungen im handwerklichen Bereich. Bereits zu Schulzeiten hatte Fritz die Absicht, fremde Länder zu bereisen. So lernte er auf dem Gymnasium eifrig die Sprachen Englisch, Italienisch und Spanisch.

Studium und „Wanderjahre“

Für Leonhardt stand nach dem Erreichen des Abiturs im Jahre 1927 das Berufsziel Bauingenieur fest. Aufgrund von Geldmangel kam für ihn nur ein Studium in der Heimat, folglich an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart, in Frage. Sein Studium absolvierte er zügig, obwohl er sich Zeit für ausgiebige Wanderungen über die Alpen bis nach Florenz und Neapel nahm (siehe Abb. 2.03), und legte 1931 das Diplom ab. Im Alter von 22 Jahren war er zusammen mit Peter Bonatz (1909-1978. Sohn von Karl Bonatz (1882-1951. Architekt) und Neffe von Paul Bonatz (1877-1956. Architekt. Abb. 2.04)) Jahrgangsbester. Seine Lehrer an der TH Stuttgart waren unter anderem Otto Graf (1881-1956. Baustoffwissenschaftler. Abb. 2.05) und Emil Mörsch (1872-1950. Abb. 2.06).

Als deutscher Austauschstudent in den USA

Am 4.11.1932 reiste Leonhardt per Schiff von Bremerhaven, Deutschland nach New York City, New York, USA. Dort angekommen, nutzte er die Gelegenheit und besichtigte in New York City das Empire State Building und den Bau des Rockefeller Center’s. Sein besonderes Interesse galt in New York City aber der gerade fertiggestellten George Washington Bridge, deren Spannweite von knapp 1’067 m damals Weltrekord war. Leonhardt suchte den verantwortlichen Ingenieur, Othmar Hermann Ammann (1879-1965)  in seinem Büro der New Yorker Hafenbehörde (Port Authority of New York and New Jersey) auf und bekam die Möglichkeit, mehrere Tage lang die Konstruktionszeichnungen der Brücke zu studieren.

Durch seine guten Kontakte und mit Hilfe von Ruth Hubbard vom Institute of International Education konnte Leonhardt als deutscher Austauschstudent die Purdue University in West Lafayette, Indiana, besuchen. Dort studierte und arbeitete er in der Zeit von Februar bis Juni 1933. Leonhardt verband sein Studienaufenthalt in den USA auch mit seiner Leidenschaft dem Reisen (Abb. 2.07). Dabei diente ihm auch hier sein gutes Netzwerk von Freunden und Bekannten, um viele für die damalige Zeit wichtige Bauwerke und Baustellen besichtigen zu können. Am 28. Juni 1933 startete er seine Hitch-Hike-Tour (Reisen als Anhalter) und besuchte z.B. die im Bau befindliche Golden Gate Bridge in San Francisco, Kalifornien, den Bau des Hoover-Staudamms (Hoover Dam) bei Boulder City (unweit von Las Vegas), Nevada und machte einen Abstecher nach Mexico City, Mexiko. Am 28. September 1933 brach Leonhardt von New York City nach Deutschland auf, wo er 15 Tage später am 12. Oktober in Bremerhaven landete. 

Leonhardt gab später in seiner Autobiografie „Baumeister in einer umwälzenden Zeit. Erinnerungen“ [LEONHARDT 1984, u.a. S. 51] seiner USA-Exkursion eine große Gewichtung, weil er dabei viel über die dortige Bautechnik, Land und Leute gelernt hatte. Trotz seiner positiven Erfahrungen verfiel Leonhardt bei seinen Beschreibungen jedoch nicht aufgrund seiner objektiv-kritischen Sichtweise in ein „Amerikafieber“. Mit den Veränderungen in Deutschland, die seit der Machtergreifung Hitlers einzogen, während er selbst in den USA weilte, war Leonhardt überhaupt nicht einverstanden. Trotzdem kehrte er nach Deutschland zurück, obwohl er eine Stelle an einer amerikanischen Universität in Aussicht hatte. In Deutschland sah er aber eher die Chance, sich weiter zu entwickeln und bauen zu können.

Karriere in Nazi-Deutschland

Karriere in Zurück in Deutschland, das seit 1933 wieder Deutsches Reich hieß, begann Fritz Leonhardt im Januar 1934 als Angestellter der Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen in Stuttgart in dem von Karl Schaechterle (1879-1971. Siehe Abb. 2.08.) geleiteten Ingenieurbüro, das auf Brückenbauten spezialisiert war, zu arbeiten. Während dieser Zeit begegnete Leonhardt auch Fritz Todt (1891-1942). Dieser war bereits 1922 der NSDAP beigetreten und seit 1933 als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen tätig. Todt leitete unter anderem den Bau der Reichsautobahnen sowie die militärisch organisierte Bautruppe „Organisation Todt“ (kurz: OT), die nach ihm benannt wurde. In der Anfangszeit wurde die Karriere Leonhardts durch Todt gefördert. Doch dieser kam 1942 unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugunglück ums Leben.

Schaechterle ging 1935 als Brückenreferent zur Direktion der Reichsautobahnen in Berlin. Auf dessen Veranlassung hin wurde ebenfalls Leonhardt ins Reichsverkehrsministerium in Berlin versetzt. Seinen ersten Aufgaben in Stuttgart und Berlin widmete er sich ambitioniert. In Zusammenarbeit mit Paul Bonatz (1877-1956. Architekt. Abb. 2.04.), Friedrich Tamms (1904-1980. Architekt), Gerd Lohmer (1909-1981. Architekt) und Wilhelm Tiedje (*1898. Architekt), die alle mit dem Bau der Reichsautobahn, dabei insbesondere Brückenbauten, betraut waren, sammelte Leonhardt erste Erfahrungen und verschaffte sich aufgrund seiner Fähigkeiten schnell Respekt.

Als Leonhardt 1938 den Auftrag erhielt, in Köln-Rodenkirchen, Deutschland eine Autobahnbrücke zu bauen, machte er sich selbstständig. Im Alter von 29 Jahren plante und realisierte er zusammen mit Paul Bonatz, Karl Schaechterle und der Stahlbaufirma Klönne die damals größte Hängebrücke Europas (Abb. 2.09). Leonhardt griff bei den Planungen auf seine Kenntnisse, die er in den USA gesammelt hatte, zurück, um die Technik des Brückenbaus zu verbessern. Er entwickelte die US-amerikanischen Techniken weiter und wurde so im Deutschen Reich zum absoluten Fachmann für Hängebrücken. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Autobahnbrücke von Köln-Rodenkirchen ein Opfer der Kriegshandlungen. Jedoch war die 567 m lange Konstruktion so überzeugend, dass sie 1952 in der gleichen Form wieder aufgebaut wurde. Dies geschah allerdings ohne Beteiligung Leonhardts, was er sehr bedauerte.

Das Kölner Netzwerk, welches sich beim Bau der Rodenkirchener Hängebrücke entwickelte, kam auch beim NS-Projekt eines neuen Bahnhofes für München zum Zuge (Siehe Abb. 2.10. Neuer Hauptbahnhof für München. [LAP]). In diesem Zusammenhang gewann 1939 die Firma Klönne mit ihrem Berater Bonatz den ersten Preis für eine gigantische Stahlkuppel. Fritz Leonhardt übernahm die Leitung der Ingenieurplanung und eröffnete ein Ingenieurbüro in München mit dem Namen „Dr.- Ing. Fritz Leonhardt, Regierungsbaumeister“. Hier begann auch die langjährige Zusammenarbeit mit Wolfhart Andrä (1914-1996. Siehe Abb. 2.11). In den Jahren 1943 bis 1944 arbeitete Leonhardt auch als Büroleiter der Organisation Todt in Estland. Dort war er am Bau der Baltölwerke beteiligt. Seine Verflechtungen mit den Nationalsozialisten und den damaligen Großprojekten wie das der „Hauptstadt der Bewegung München“ beschönigte Leonhardt zwar kaum, allerdings klingen die Rechtfertigungsversuche in seiner Autobiografie „Baumeister in einer umwälzenden Zeit“ von 1984 auch wenig selbstkritisch: „Die ganze Arbeit hatte jedoch etwas gespenstisches [...]. Draußen tobte einer der mörderischsten Kriege, und hier wurde eine größenwahnsinnige Planung betrieben [...]. Diesen Aufwand betrieben wir mit dem Hintergedanken, diese guten Ingenieure in die Nachkriegszeit hinüberzuretten.“ [LEONHARDT 1984, S. 91] Dass er durch sein Verhalten vor allem auch sich selbst rettete, erwähnte Leonhardt hier nicht. Leonhardt traf sich in jener Zeit, genauer gesagt, Juni 1943, auch mit dem Ingenieur Eugène Freyssinet (1879-1962) in Paris und tauschte sich fachlich mit ihm und dessen Mitarbeitern aus. Hierbei ging es voranging um die Entwicklung des Spannbetons. Aus diesem Treffen ergab sich eine spätere Zusammenarbeit von Leonhardt und Freyssinet, die auch nach dem Krieg bestand. [LEONHARDT 1984, S. 98]

Nachkriegszeit: Brücken

Durch die Zerstörung der meisten Brücken wurden im Nachkriegsdeutschland Ingenieure für deren Wiederaufbau gebraucht. Der befreundete Architekt Gerd Lohmer (1909-1981), der schon im Büro von Bonatz an der Rodenkirchener Brücke (1938-1941) mitgearbeitet hatte, holte Leonhardt 1946 wieder nach Köln. Für die Deutzer Brücke in Köln (1946-1947) entwickelte Leonhardt einen revolutionär schlanken und dadurch materialsparenden Kastenträger aus Stahl (Abb. 2.12). Wegen der britischen Militärregierung, die eigentlich nur Behelfskonstruktionen zuließ, musste Leonhardt dort zunächst Überzeugungsarbeit leisten. Die Brücke wurde schließlich 1948 mit Konrad Adenauer eingeweiht. „Wir setzten mit dieser Brücke einen Maßstab und zeigten, dass man trotz der schlimmen Not schön und gut bauen kann. Die Brücke fand nicht nur bei den Kölnern, sondern auch international viel Anerkennung.“ [LEONHARDT 1984, S. 111] Es folgte die Zeit der Rhein- und Moselbrücken, in der sich Leonhardt mit seiner außergewöhnlichen Erfindungsgabe einen Namen machte (Abb. 2.13 bis 2.14). So entwickelte Leonhardt beispielsweise für eine Moselbrücke in Wehlen, Stadtteil von Bernkastel-Kues, Rheinland-Pfalz, Deutschland (1947-1949), den ersten mit Seilen vorgespannten Felsanker. 

Nachdem 1940 der spektakuläre Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke bei Tacoma im Bundesstaat Washington, USA (auch bekannt als „Galloping Gertie“, 1938-1940) die Fachwelt erschüttert hatte, forschte Leonhardt an windschnittigen Brückenquerschnitten. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen war die Monokabel-Hängebrücke, die er 1953 zum Patent anmeldete. Leonhardt war ebenfalls entscheidend am Entwicklungsprozess einer weiteren Brückenform beteiligt, die Schrägseilbrücke. Die vermutlich erste „moderne“ und reine Schrägseilbrücke Deutschlands entstand in den Jahren 1953-1957 in Düsseldorf und wird Theodor-Heuss-Brücke oder Nordbrücke Düsseldorf genannt (Siehe Abb. 2.15 und 3.06.). In den Jahren danach folgten weitere drei Schrägseilbrücken über den Rhein, die Leonhardt zusammen mit den Architekten Friedrich Tamms (1904-1980) und Gerd Lohmer plante: die Rheinkniebrücke (1965-1969. Abb. 2.15 und 3.11.), die Oberkasseler Brücke (1969-1976. Abb. 2.15.) und die Fleher Brücke (1976-1979). Alle vier Brücken gehören zu der sogenannten „Düsseldorfer Brückenfamilie“ (insgesamt sieben Brücken über den Rhein), die sowohl in technischer als auch in ästhetischer Hinsicht einen Höhepunkt in Leonhardts Oeuvre darstellen. Nicht nur in Schrägseilbrücken, sondern auch in der Entwicklung von Spannbeton und Taktschiebeverfahren zeigte sich Leonhardts große Erfindungsgabe. Mehrfach musste Leonhardt aber auch Rückschläge hinnehmen. Dies geschah oft, weil die von ihm vorgeschlagenen Konstruktionen so neuartig waren, dass sie aus Angst vor den dazugehörigen Experimenten abgelehnt wurden. Für die Rheinbrücke in Emmerich, Nordrhein-Westfalen, Deutschland plante Leonhardt 1961 eine Monokabel-Hängebrücke mit zwei A-förmigen Pylonen, die er als seinen „schönsten Entwurf“ bezeichnete (Abb. 3.09). Trotz wirtschaftlicher Vorteile seines Vorschlages wurde dieser aber abgelehnt und nicht gebaut.

„Vater der Fernsehtürme“

Mitte der 1950er Jahre benötigte der Süddeutsche Rundfunk einen neuen Fernsehturm. Ursprünglich war ein 200 m hoher Gittersendemast in der Art eines überdimensionalen Hochspannungsmasts geplant. Leonhardt schlug einen 217 m hohen, runden Turm aus Stahlbeton mit Restaurantplattform in 150 m Höhe vor. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde die elegante „Betonnadel“ auf dem Berg „Hoher Bopser“ 1956 eingeweiht (Abb. 2.16). Sie gilt als Prototyp einer damals weltweit einsetzenden Welle von Funkturmbauten aus Beton; ein Vergleich: der Berliner Fernsehturm, Deutschland (ehemals DDR), Bauzeit: 1965-1969, Höhe: 368 m. Leonhardt war später selbst an der Entstehung zahlreicher Fernsehtürme beteiligt; u.a. in Hannover (1957), Hamburg (1964-1968, Abb. 3.10), Frankfurt (1970-1977 (1979), Abb. 3.14), Köln (1971-1980 (1981)), Nürnberg (1971-1982, Abb. 3.15) und neben Moskau (Russland, 1959-1967) weitere weltweit.

Berühmte Sonderbauten

1956 bis 1959 wurde die Hamburger Alster-Schwimmhalle gebaut (Abb. 3.08). Zuvor gewannen die Hamburger Architekten Horst Niessen, Rolf Störmer (1907-1982) und Walter Neuhäuser den Wettbewerb mit dem für die Konstruktion verantwortlichen Büro Leonhardt & Andrä. Das Tragwerk, bestehend aus zwei hyperbolisch-paraboloiden Schalen auf drei Stützen, gehört mit seinen Ausmaßen zu den Größten weltweit [GODDEN 1997]. 

Bei der Weltausstellung in Montreal, Kanada im Jahr 1967 war Leonhardt beim Bau des deutschen Pavillons von Frei Otto der verantwortliche Ingenieur. Das auffälligste Merkmal des Bauwerks war die zeltartige Seilnetz-Dachkonstruktion.Im gleichen Jahr gewann das Stuttgarter Büro Behnisch & Partner mit Jürgen Joedicke (*1925) und Heinz Isler (1926-2009) den Wettbewerb für die Münchner Olympiabauten mit einer in die weich modellierten Landschaft eingebetteten Anlage. Diese sollte mit einer Seilnetzkonstruktion nach dem Vorbild des Weltausstellungspavillons überdacht werden. Das im Vergleich dazu viel größere Netzsystem in München barg jedoch viele statische Risiken. Gemeinsam mit Frei Otto bekam Leonhardt den Auftrag, die Seilnetzkonstruktion zu planen. Das Zeltdach wurde in der Zeit von 1968 bis 1972 verwirklicht. Vorallem auch das mutige Engagement Fritz Leonhardts als damals bereits weltweit anerkannter Ingenieur ermöglichte den Bau des berühmten Zeltdachs.

Akademische Karriere, theoretische Arbeit und Forschung

Fritz Leonhardt wurde 1958 zum ordentlichen Professor für Massivbau an der TH Stuttgart berufen. Neun Jahre später, am 5. Mai 1967 folgte sogar die Wahl Leonhardts zum Rektor. In seiner Antrittsrede referierte er über seine Ideen zur Bildungspolitik. Er regte eine Diskussion über verschiedene Reformen wie das Abitur nach zwölf Schuljahren oder die Entlastung der Universitäten durch mehr Fachhochschulen an. Während seiner Amtszeit als Rektor wurde die TH Stuttgart zur Universität umbenannt. Seine Zeit als Rektor von 1967 bis 1969 erlebte Leonhardt durch die zeitgleich stattfindenden turbulenten Studentenunruhen als die zwei „verrücktesten“ Jahre seines Lebens. [LEONHARDT 1984, S. 267] Als Mitglied einer schlagenden Verbindung hatte er es in dieser Zeit nicht unbedingt leicht. Für manche seiner Maßnahmen lässt sich bis heute schwerlich Verständnis aufbringen; etwa die Kontrolle durch eine Studentengruppe, die er in seinen Memoiren als „meinen Geheimdienst“ bezeichnete. [LEONHARDT 1984, S. 265] Er wendete sich gegen die Ideologie der Linken, räumte jedoch auch ein, dass „auch unser [...] System ideologische Schwächen, sprich soziale Ungerechtigkeiten“ habe. [LEONHARDT 1984, S. 261] Seine hochschulpolitischen Erfahrungen beschrieb Leonhardt im 1968 erschienenen Buch „Studentenunruhen. Ursachen, Reformen. Ein Plädoyer für die Jugend“. [LEONHARDT 1984, S. 251-269]

Zu Fritz Leonhardts Verdiensten gehört der Einsatz für die Berufung Frei Ottos (*1925) von Berlin nach Stuttgart im Jahre 1964. Otto richtete daraufhin sein international renommiertes Institut für leichte Flächentragwerke an der Universität Stuttgart ein. In den 16 Universitätsjahren betreute Leonhardt 38 Dissertationen und verfasste eine beachtliche Anzahl an Fachpublikationen. Zu diesen Publikationen sind auch Lehrbücher, die Vorlesungen zum Massivbau in sechs Bänden, hinzuzurechnen, die er mit Eduard Mönnig (Bd. 1-3), der die zweite Professur am Institut für Massivbau der Universität Stuttgart bis 1975 inne hatte [ILEK GESCHICHTE], herausgab.

Insgesamt veröffentliche Leonhardt ca. 340 Fachpublikationen. Zahlreiche Neuerungen im Brücken- und Massivbau gehen auf ihn zurück. Er erkannte nach dem Zweiten Weltkrieg als erster die technischen und ökonomischen Vorteile der Schrägseilbrücken und setzte seine Erkenntnisse u.a. mit der Düsseldorfer Brückenfamilie um. Leonhardt entwickelte auch die „Orthotrope Platte“ als materialsparendes Tragwerk und setzte diese Technik erstmals beim Bau der Brücke in Köln-Mülheim ein (1948-1951. Abb. 2.13 und 2.14.). Auch gilt er als Erfinder des Taktschiebeverfahrens. Es wird heute weltweit als kostensparende Bauweise im Brückenbau angewendet. Leonhardt entwickelte des Weiteren neue Vorspann-Techniken. 1955 erschien sein Buch „Spannbeton für die Praxis“. Es wurde in den Folgejahren in mehrere Sprachen übersetzt und ist bis heute ein Standardwerk für angehende Bauingenieure. Seine 1984 erschienene Autobiografie „Baumeister in einer umwälzenden Zeit. Erinnerungen“ fand große Beachtung und wurde im Jahr 1998 wieder aufgelegt [Link zu 5 Publikationen]. Der Bildband „Brücken/ Bridges“ erschien gleich zweisprachig und gilt als eines der besten Bücher zum Thema Brückenbau. Seit 1982 erschienen mehrfach Wiederauflagen.

Spätwerk

Nach seiner Emeritierung im Jahr 1974 setzte sich Fritz Leonhardt keineswegs zur Ruhe, sondern widmete sich mit großer Disziplin und Vitalität seinem Büro, das seit 1970 „Leonhardt, Andrä und Partner, Beratende Ingenieure VBI“ hieß. Er baute elegante Schrägseil- und Monokabel-Brücken, arbeitete an Vorschlägen zur Rettung des Schiefen Turms von Pisa, Italien und verfasste viele Fachartikel und Bücher. Mit dem Büro „Schlaich, Bergermann & Partner“ setzte sich Leonhardt für die sparsame und wirtschaftliche Ausnutzung regenerativer Energiequellen ein, wie etwa mit der Entwicklung des thermischen Aufwindkraftwerks.

In den 1990er Jahren ging der Anteil Fritz Leonhardts an den Projekten in der 170 Mitarbeiter zählenden Stuttgarter Firma mit Zweigstellen in Berlin, Dresden, Erfurt und Leipzig zurück. Es entstanden jedoch weiterhin erwähnenswerte Arbeiten, z.B. ein erdbebensicherer, aufklappbarer Mittelteil für die Galata-Brücke, Istanbul, Türkei (1992) oder anlässlich der Expo 1992 in Sevilla, Spanien, die schlankste Balkenbrücke der Welt, die La-Cartuja-Brücke (1990-1991). Die mit Sir Norman Foster (*1935) entwickelte Reichstagskuppel in Berlin wurde in Leonhardts Todesjahr 1999 fertiggestellt.

Für sein beeindruckendes Lebenswerk erhielt Fritz Leonhardt viele Würdigungen. Neben dem Großen Bundesverdienstkreuz bekam er auch zahlreiche Orden sowie insgesamt sechs Ehrendoktorhüte aus Deutschland, Dänemark, USA, Belgien, Großbritannien und Italien.